Unfreiwilliger Sex und tödliche Schwangerschaften
Warum vielen Frauen immer noch das Recht auf körperliche Selbstbestimmung verwehrt wird
Weltweit sterben jedes Jahr etwa 4,5 Millionen Mütter und Babys während der Schwangerschaft, bei der Geburt oder in den ersten Lebenswochen.
Quelle: Felix Heyder/dpa
In den vergangenen 30 Jahren sind weltweit deutlich weniger Frauen bei der Geburt gestorben oder ungewollt schwanger geworden. Dennoch kann jede vierte Frau nicht Nein zu Sex mit ihrem Partner sagen – und die Müttersterblichkeit sinkt seit Jahren nicht mehr. Auch, weil bestimmte Menschen bei bisherigen Maßnahmen zur Verbesserung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit durch das Raster fallen.
Die Weltbevölkerungskonferenz in Kairo im Jahr 1994 war ein wegweisender Schritt für die Menschheit, insbesondere für Frauen. Erstmals verabschiedeten die 179 anwesenden Regierungen ein Aktionsprogramm, in dem das Recht auf körperliche Selbstbestimmung festgeschrieben wurde. Das heißt zum Beispiel, dass man über seinen Körper entscheiden darf – und, dass Sex und Schwangerschaften immer gewollt sind und jede Geburt sicher ist. Dieses Recht sollte zum Mittelpunkt der Bevölkerungspolitik auf der Welt werden, die oftmals von Sorgen über eine Über- oder Unterbevölkerung geprägt ist. Vor allem für Frauen veränderte sich seitdem vieles weltweit zum Positiven.
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30 Jahre nach dieser Konferenz ist beispielsweise die Müttersterblichkeit um 34 Prozent gesunken, heißt es im Weltbevölkerungsbericht des Weltbevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA). Der Begriff Müttersterblichkeit bezieht sich auf Frauen, die während der Schwangerschaft oder bei der Geburt sterben. Zwischen 1990 und 2019 ist zudem die Zahl ungewollter Schwangerschaften dank des verbesserten Zugangs zu Verhütungsmitteln um 19 Prozent gesunken. Und Teenagerschwangerschaften haben bei Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren seit 2000 um ein Drittel abgenommen.
Das sind die guten Nachrichten. Die schlechte: Weltweit haben immer noch viel zu viele Frauen kein Recht auf körperliche Selbstbestimmung – und in den vergangenen Jahren sind auch Rückschritte bei der sexuellen und reproduktiven Gesundheit von Frauen verzeichnet worden.
„Diskussionen über zu viele oder zu wenige Menschen auf der Welt lenken von den eigentlichen Problemen ab“
Mehr als acht Milliarden Menschen leben auf der Erde. Bei manchen schürt diese Zahl Ängste. Zu viele Menschen seien schädlich fürs Klima, unter zu wenigen leide die Wirtschaft. Doch die wachsende Bevölkerung ist nicht der entscheidende Faktor für die Klimakrise, den Verbrauch von Ressourcen und alternde Gesellschaften, betont eine Expertin.
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Keine Fortschritte bei der Müttersterblichkeit – Frauen in Afrika tragen deutlich höheres Risiko
„Es ist bedauerlich, dass die Welt seit 2016 keine Fortschritte dabei gemacht hat, Frauen vor einem Tod während der Schwangerschaft und Geburt zu schützen“, sagt Florence Bauer. Sie ist UNFPA-Regionaldirektorin für Osteuropa und Zentralasien. Laut des neuen Weltbevölkerungsberichts sterben täglich um die 800 Frauen pro Tag während der Schwangerschaft und Geburt. An dieser Zahl ändert sich seit Jahren kaum etwas. Im Rahmen einer von der Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW) organisierten Konferenz zum Bericht kritisierte Bauer zudem, dass weltweit eine von vier Frauen nicht Nein zu Sex mit ihrem Mann oder Partner sagen kann. „In 40 Prozent der Länder, zu denen es Daten gibt, hat die körperliche Selbstbestimmung abgenommen“, sagt sie.
Für diese Entwicklung gibt es laut des Berichts mehrere Gründe. Ein großes Problem ist nach wie vor, dass Rassismus, Sexismus und Diskriminierung größere Fortschritte verhindern. Außerdem gibt es nach wie vor Ungleichheiten beim Zugang zu Gesundheitsversorgung in allen Ländern – und auch die Herkunft, Hautfarbe und die sozioökonomischen Bedingungen eines Menschen spielen dabei eine große Rolle. Eine afrikanische Frau trägt etwa ein 130-mal höheres Risiko, an den Komplikationen einer Schwangerschaft oder Geburt zu sterben, als eine Frau in Europa oder Nordamerika.
Das bedeutet allerdings nicht, dass sich in Ländern in Afrika bei der körperlichen Selbststimmung von Frauen nichts getan hat. In Äthiopien ist Müttersterblichkeit von über 1000 Frauen im Jahr 1995 auf 401 im Jahr 2019 gesunken. Betrug die Geburtenrate 1990 noch 6,6 Kinder pro Frau, lag sie 2019 noch bei 4,1 – auch dank des verbesserten Zugangs zu Verhütungsmitteln. Die Zahl der Teenagerschwangerschaften nahm von 16 Prozent im Jahr 2000 auf 13 Prozent im Jahr 2019 ab. „Das ist ein bemerkenswerter Fortschritt im Land“, sagt Feyera Abdissa, Leiter des DSW-Länderbüros Äthiopien. „Es muss aber noch viel getan werden, um die Ziele zu erfüllen – es gibt immer noch Segmente in der Bevölkerung, die wir nicht erreichen.“
Maßnahmen zur Verbesserung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit erreichen die Ausgegrenzten nicht
Der Bericht weist darauf hin, dass die am stärksten ausgegrenzten Menschen nicht mit Maßnahmen zur Verbesserung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit erreicht werden. Viele Maßnahmen adressierten in den vergangenen 30 Jahren die Masse, also Menschen, die leicht zu erreichen sind. Dabei fallen einige Menschen durch das Raster: Etwa Mädchen mit Behinderungen, die nicht zur Schule gehen und in einer abgelegenen Community leben. Queere Menschen, die Diskriminierung erfahren. Oder junge Arbeiterinnen ohne Papiere, deren Risiko hoch ist, von ihrem Arbeitgeber sexuell missbraucht zu werden.
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„Wir müssen ausgegrenzte Frauen in die Entscheidungsprozesse einbeziehen“, fordert Bauer. Die DSW betont, dass es dazu Daten braucht, die die Erfahrungen von Randgruppen erfassen. Außerdem sind ihr zufolge weitere Maßnahmen wichtig, um das Recht auf körperliche Selbstbestimmung weltweit zu stärken. Erstens müssten Vorurteile in den Gesundheitssystemen beseitigt werden, um eine gerechte Versorgung für alle sicherzustellen. Zweitens brauche es Investitionen, um Ungleichheiten anzugehen – auch die, die durch Klimakrise, Konflikte und den demografischen Wandel entstehen.