Kinder: „Viele wollen diese rosa-blau getrennte Welt gar nicht“ - WELT (2024)

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Eltern, die ihr Kind für Krippe oder Kindergarten anmelden, müssten meist eine Frage als Erstes beantworten: Junge oder Mädchen? Wenn man Kindergartenkinder beobachtet, scheint das auf den ersten Blick auch sinnvoll. Man sieht häufig Mädchen – oft in Rosa, Glitzer und Rock gekleidet, die zusammen Spiele wie „Mutter, Vater, Kind“ spielen oder miteinander turnen, tanzen und reden. Viele Jungen hingegen werkeln eher in der Bauecke oder flitzen mit Laufrädern über den Hof. Was daran ist angeboren und was anerzogen beziehungsweise durch die Kultur geprägt? In der Wissenschaft ist diese Frage allgemein unter dem Stichwort „Nature versus Nurture“ bekannt.

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„Geschlechterunterschiede in der Wahl von Spielzeug existieren und scheinen ein Produkt von beidem zu sein, angeborener und sozialer Kräfte“, schlussfolgerten 2017 die Autoren einer Meta-Analyse, also einer Auswertung mehrerer Studien. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hatten sich 16 Studien mit Kindern im Alter zwischen einem und acht Jahren angeschaut. Die Studien stammten aus verschiedenen Jahren.

Das Ergebnis: Jungen spielten mehr mit als typisch männlichen geltenden Spielzeugen wie Fahrzeugen und Mädchen mehr mit als typisch weiblich geltenden Spielzeugen wie Puppen. Laut den Autoren könnte sich das unter anderem durch hormonelle Unterschiede erklären lassen. Aber: Bei Jungen war die Vorliebe bei älteren Kindern noch ausgeprägter als bei jüngeren und die Geschlechterunterschiede zeigten sich stärker in älteren Studien. Das könnte auch an Umwelteinflüssen liegen.

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Farbvorlieben (Pink, Blau) gelten als vollständig sozial konstruiert. Ob Kinder aber von sich aus geschlechtsspezifische Vorlieben für Spielzeug zeigen, ist kaum zu beantworten, meint Almut Schnerring aus Bonn, die sich seit über zehn Jahren als Buchautorin und Speakerin mit den Themen „Rosa-Hellblau-Falle“ und Equal Care beschäftigt. „Der Einfluss der Umwelt ist immer vorhanden - ab Tag 1“, sagt Schnerring. Dazu gehörten nicht nur je nach Geschlecht andere Motive und Farben im Kinderzimmer, auf der Kleidung und auf Schnullern.

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Studien zeigten beispielsweise, dass Eltern schon mit den Föten im Mutterleib unterschiedlich umgingen und etwa mit Mädchen mehr sprächen. In Experimenten würden Menschen mit ein und demselben Baby verschieden spielen, je nachdem, ob sie es für Junge oder Mädchen halten. Das Verhalten sei oft unbewusst. Wenn einjährige Kinder eine Spielvorliebe zeigen, kann laut Schnerring also schon das an kulturellen Einflüssen liegen. „Biologie und Sozialisation lassen sich nicht separat untersuchen“, sagt sie.

Die Psychologin Doris Bischof-Köhler aus Oberbayern meint hingegen, dass die Geschlechter von Natur aus anders seien. Wenn Jungen bereits im Kindergarten eine Vorliebe für Raufspiele hätten, gäbe es dafür evolutionspsychologische Gründe. Auch der Primatologe Frans de Waal nannte Studien, in denen weibliche Affen eher mit Puppen spielten als männliche. „Eine Pfanne im Affengehege als weiblich zu konnotieren, ist aber abstrus“, meint Schnerring. Tatsächlich besteht längst keine Einigkeit darüber, was typisches Jungenspielzeug und typisches Mädchenspielzeug überhaupt sein soll. Zu diesem Fazit kam eine 2020 veröffentlichte Überblicksarbeit mit einer Auswertung von 75 Studien.

Geschlechterstereotype können sich auf das spätere Leben auswirken

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Unbestritten ist hingegen, dass sich Umwelt und Biologie wechselseitig beeinflussen können. Die Umwelt kann eventuell vorhandene Geschlechterunterschiede verstärken – etwa wenn Kinder nur „geschlechtstypisches“ Spielzeug erhalten, Eltern positiver auf als typisch geltende Spiele reagieren oder Kinder andere Kinder je nach Geschlecht bei verschiedenen Spielen beobachten. Die Umwelt kann sogar Gene verändern (sogenannte Epigenetik).

Dass Geschlechterunterschiede im Laufe der ersten Lebensjahre häufig zunehmen, liegt laut Schnerring viel an Gendermarketing. Schultüten, Überraschungseier, Bücher, Shampoos, Hausschuhe - fast alles gibt es inzwischen in zwei Ausführungen: Junge versus Mädchen, Pirat versus Prinzessin. „Es gab noch keine Generation zuvor, die so zugeschüttet wurde mit binären Botschaften“, sagt Scherring. Zwar seien Zinnsoldaten und Puppen früher auch geschlechtlich zugeordnet worden, aber es habe keine Verstärkung durch Instagram, Riesenplakate an Bushaltestellen oder Kinderfernsehen gegeben.

„Viele Kinder wollen diese rosa-blau getrennte Welt zunächst gar nicht, aber ihre Stimme wird nicht gehört“, meint Schnerring. Dass Gendermarketing zugenommen hat, beobachten auch die Medienwissenschaftlerinnen Maya Götz aus München und Birgit Irrgang vom Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis in Augsburg.

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Selbst wenn sich nicht eindeutig klären lässt, welchen Anteil Umwelt und Natur an unterschiedlichem Spielverhalten haben - klar ist, dass sich nicht alle Kinder mit den Geschlechterstereotypen identifizieren. Außerdem können Geschlechterstereotype Auswirkungen auf das spätere Leben und die Gesellschaft haben, die nicht immer gewünscht sind.

Wer im Kindergarten vor allem Jungen Bauklötze und Fahrzeuge anbietet, muss sich nicht wundern, bei Jugendlichen und jungen Erwachsene spezielle Frauenprogramme auflegen zu müssen, um Interesse für Naturwissenschaft und Technik (MINT) zu wecken. Wenn Mädchen etwa häufiger hören, dass Mädchen nicht so gut im Werken seien wie Jungen, kann der sogenannte Stereotype Threat dazu führen, dass sie im Werken tatsächlich schlechter abschneiden.

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Schnerring wünscht sich, dass Erwachsene sich beim Vorsortieren von Spielzeug mehr zurücknehmen. „Wichtig ist, Vielfalt anzubieten und dem Binären immer wieder etwas entgegenzusetzen.“ Außerdem sollte man im Gespräch bleiben. „Wenn das Kind heute den rosa Ball will, mag es vielleicht trotzdem morgen das gelbe Fahrrad.“

Kinder: „Viele wollen diese rosa-blau getrennte Welt gar nicht“ - WELT (2024)

FAQs

Warum Rosa für Mädchen und Blau für Jungs? ›

Dagegen war Blau, das heute den Jungen vorbehalten ist, die Farbe der kleinen Mädchen. Rosa wurde auch das „kleine Rot“ genannt, und weil Rot als Signalfarbe der Männlichkeit galt, ordnete man Rosa folgerichtig den Knaben zu. Mädchen zog man blau an, weil Blau die Farbe der Jungfrau Maria war.

Warum lieben Kinder Rosa? ›

Rosa enthält die feineren Qualitäten des intensiven, warmen, Leben gebenden Rots. Es symbolisiert Liebe und Zuneigung ohne Leidenschaft“, schreibt Farbtherapeutin Christa Muths in ihrem Büchlein „Farbtherapie“.

Warum war früher Rosa für Jungs? ›

Die Farbe Rot galt als königlich und stark, man verband damit Männlichkeit, Kampfgeist, Blut und Krieg. Weil Jungs noch keine ausgewachsenen Männer sind, trugen sie damals die Farbe rosa, als eine Verniedlichung der stattlichen roten Farbe.

Welche Farbe mögen Jungs an Mädchen? ›

Das Deutsche Lackinstitut hat in einer repräsentativen Umfrage herausgefunden, dass Männer generell vor allem auf Blau stehen, aber auch Grau, Schwarz und Braun gern mögen. Grün mögen beide Geschlechter ungefähr gleich gern, während Frauen sonst vermehrt auf Rot, Gelb, Beige und Orange stehen.

Wie wirkt Rosa auf Kinder? ›

Rosa ist eine ausgesprochen sanfte, sehr beruhigende Farbe für beide Geschlechter. Durch Rosa werden die Räume zu Rückzugsorten, der Farbton spendet auf eine sehr leichte, unaufdringliche Art Sicherheit. Entsprechend wirken auch kühle Blautöne entspannend auf Kinder beider Geschlechter.

Warum Rosa weiblich? ›

Früher war Rosa eine Jungsfarbe

Blau, die Farbe der Reinheit und der Jungfrau Maria, wurde eher mit dem Weiblichen assoziiert. Rosa, das „kleine Rot“, galt somit über lange Zeit als Jungsfarbe und Hellblau als „kleines Blau“ als Mädchenfarbe.

Wann wurde Rosa zur Mädchenfarbe? ›

Die neue farbliche Festlegung hat sich ab den 1940er-Jahren durchgesetzt. Mit dem Verkauf der ersten Barbiepuppe im Jahr 1959 in einer pinkfarbenen Verpackung wurden Rosa und Pink endgültig als „Mädchenfarben“ im Bereich Kleidung und Spielzeug populär. So setzten sich die Jungs- und Mädchenfarben fest.

Was bedeutet Rosa und Blau? ›

Damals war Rot, was für Blut und Kampf stand, die Farbe der Männer. Rosa wurde als „das kleine Rot“ bezeichnet, weswegen es als Jungen-Farbe galt. Blau war dagegen die Farbe der Mädchen, denn auf alten Bildern mit kirchlichen Motiven wurde die Jungfrau Maria in blauer Kleidung dargestellt.

War Blau früher eine Mädchenfarbe? ›

Rosa als „kleines Rot“ galt früher als Farbe, die für Jungen passend war. Rot war die Farbe der Macht; Könige und Päpste trugen und tragen Kleidung aus Purpur. Blau war jedoch die Farbe der Mädchen, weil sie die Symbolfarbe der Jungfrau Maria war.

Warum tragen Männer Rosa? ›

Immer mehr Männer tragen die vermeintlich «weibliche» Farbe mit Stolz. Die Liste der psychologischen Vorteile, die Pink bietet, ist lang. Rosa gilt als beruhigend, freundlich, zart, romantisch, süss und einfühlsam.

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Author: Dan Stracke

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