Gute Schulden, schlechte Schulden (2024)

Doch die Kehrseite war damals auch schon sichtbar: „Das war nur eine kurzfristige Stabilisierung, weil sich die Firmen dadurch weiter verschulden und in eine finanziell immer schwierigere Situation geraten“, sagt Schildbach. Aus den guten Schulden, die das Überleben der Unternehmen gesichert haben, seien schlechte Schulden geworden, die den Unternehmen die Luft zum Atmen genommen hätten. Darum sei der Staat sinnvollerweise zu direkten, nicht rückzahlbaren Zuschüssen übergegangen.

Volkswirtschaftlich waren die Hilfskredite eine Gratwanderung: „Am Ende dürfen dadurch keine Zombieunternehmen entstehen“, sagt Schildbach. Durch zu viel billigen Kredit künstlich am Leben gehaltene Unternehmen verschwenden die Ressourcen einer Volkswirtschaft und erschweren neuen Unternehmen den Markteintritt. Christiane von Bergs Ansatz lautet darum, Schulden von Unternehmen nicht nach Investitionen oder Konsum zu beurteilen, sondern die Perspektive in den Vordergrund zu stellen: „Wenn es keine Perspektive mehr gibt, dass das Unternehmen künftig profitabel agieren und über einen gewissen Zeitraum die Verschuldung ausgleichen kann, dann ist eine weitere Verschuldung definitiv negativ.“

Schulden sind auch Chancen

Aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht sind Schulden häufig erst einmal sinnvoll. Die Zinsen sind steuerlich abzugsfähig, und die Eigenkapitalrendite kann durch günstiges Fremdkapital gehebelt werden („Leverage-Effekt“). „Wenn die Finanzierungsstruktur durch die Aufnahme von Fremdkapital effizienter gestaltet werden kann, dann ist das aus volkswirtschaftlicher Sicht sinnvoll“, sagt Schildbach.

Vor allem aber können Schulden helfen, Gelegenheiten zu ergreifen. „Schulden sind ein notwendiges Mittel für die Finanzierung von Wachstum, Investitionen und damit letzten Endes Fortschritt“, sagt Jürgen Zapf von Alvarez & Marsal. Klug eingesetzte Verschuldung erhöht den Gewinn über die Kosten für Zinsen und Tilgung hinaus, sie schafft also einen Zusatzgewinn und steigert den Unternehmenswert. Zapfs Anforderung an gute Schulden: Das Unternehmen muss mit ihnen am Ende besser dastehen als vorher. Das kann sich durch mehr Umsatz, eine höhere Profitabilität, mehr Investitionen in Forschung und Entwicklung oder schlicht bessere Produkte ausdrücken.

Fit machen für die Zukunft ist auch der Maßstab des Bankers: „Wenn Schulden aufgenommen werden, die klar zweckgebunden für die Entwicklung und die nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens eingesetzt werden, sind das produktive Schulden – und die würde ich als gute Schulden einstufen“, sagt Sebastian Ottmann, Leiter Debt Capital Markets der Deutschen Bank. Effizienz und Nachhaltigkeit sind dafür zwei wichtige Kriterien, an denen sich gute Schulden orientieren sollten.
Doch nicht immer sind Wachstumsfinanzierungen gute Schulden – dummerweise lässt sich das nur ex post beurteilen. Es gibt keine Garantie, dass ein Zukauf den Unternehmenswert steigert. Prominente Gegenbeispiele gibt es zur Genüge. Aus guten Schulden können also jederzeit schlechte werden. Aber: „Dass einzelne Projekte schiefgehen, darf nicht verteufelt werden“, sagt Ottmann. „Wir brauchen ein gewisses Risiko im System, sonst gibt es zu wenig Innovation. Man muss aber darauf achten, dass die Risiken nicht zu groß werden.“

Die Höhe des Risikos hängt jedoch nicht direkt an der Höhe der Verschuldung. Zwar gilt grundsätzlich: „Je mehr sich ein Unternehmen verschuldet, desto größer ist auch sein Finanzierungsrisiko“, sagt Unternehmensberater Jürgen Zapf. Ein höherer Leverage macht Unternehmen verwundbarer, wenn sich Rahmenbedingungen verschlechtern. Die individuelle Schuldentragfähigkeit hängt aber vom Unternehmen selbst und von der Branche ab. Darum rät Schildbach, die aggregierten Risiken innerhalb eines Sektors im Blick zu behalten. „Erst wenn die Gesamtverschuldung zu hoch wird, besteht das Risiko, dass eine Kreditblase vorliegt und bei deren möglichem Platzen – zum Beispiel wegen steigender Zinsen – viele Unternehmen gleichzeitig in Schwierigkeiten geraten“, so der Ökonom.

Private Equity: Korsett oder Katalysator?

Für viele Unternehmen gehören Schulden zum Geschäftsmodell – insbesondere dann, wenn sie sich im Besitz von Finanzinvestoren befinden. Private-Equity-Gesellschaften hebeln ihre Investments gern mit Fremdkapital, indem sie nur einen Teil des Kaufpreises mit Eigen- und den Rest mit Fremdkapital bezahlen. Diese Schulden muss das Unternehmen über die Haltedauer hinweg aus dem laufenden Cashflow abtragen. Im Fachjargon nennt man das Financial Engineering.

Da die Bedeutung von Private Equity im deutschen Mittelstand seit der Finanzkrise immer weiter zunimmt, lohnt ein genauer Blick. Vom Financial Engineering profitiert der Gesellschafter, also der Private-Equity-Investor. Das Unternehmen muss einen erheblichen Teil seines Cashflows für Zins und Tilgung aufwenden und hat weniger Mittel für Investitionen, Forschung und Entwicklung oder Akquisitionen übrig.

Financial Engineering ist auch heute noch bei Finanzinvestoren üblich, der größte Werthebel ist aber ein anderer: Buy and Build. Finanzinvestoren erwerben ein Unternehmen als Plattform und docken daran anschließend mehrere kleinere Unternehmen (Add-ons) an. Dadurch entsteht ein größeres Unternehmen, das mehr Umsatz und Gewinn macht, seine Wettbewerbsposition stärkt, mehr Arbeitsplätze schafft, Synergien hebt und mehr Forschung und Entwicklung betreiben kann.

Schulden bedeuten Rendite

„Schulden zur Finanzierung von Buy-and-Build-Strategien von Private Equity sind gute Schulden, wenn das Unternehmen durch die Zukäufe nicht nur umsatzseitig, sondern auch profitabel wächst“, sagt Ottmann von der Deutschen Bank. Das ist der Haken: Scheitert die Integration der Zukäufe und sinkt die Profitabilität des kombinierten Unternehmens, drohen ihm finanzielle Probleme. Private- Equity-Schulden führen laut Jürgen Zapf zu einer extremen Gewinnmaximierung: „Gewinnsteigerung ist gut, aber Gewinnmaximierung mag langfristig nicht immer gut für das Unternehmen sein. Private Equity hat das Problem, drei bis fünf Jahre lang das Maximum an Ebitda aus dem Unternehmen herausholen zu müssen.“

„Wenn ein bestimmter Leverage betriebswirtschaftlich vertretbar ist, warum sollte man darauf verzichten?“

Jens Tonn, ICG

Private-Equity-Investoren holen aber noch mehr aus Unternehmen heraus – Geld. Sie lassen sich über sogenannte Recaps während der Haltedauer gern eine fremdfinanzierte Sonderdividende ausschütten, um einen Teil der Rendite schon vor dem Exit zu realisieren. „Recaps sind aus Sicht des Unternehmens schlechte Schulden, denn sie limitieren finanziell Fortschritt und Innovation“, sagt Zapf. Im Fokus stehe nicht die strategische Weiterentwicklung des Unternehmens, sondern die Befriedigung von Gesellschafterinteressen.

Jens Tonn, Deutschlandchef des internationalen Asset-Managers ICG, hält dagegen. Man müsse den kompletten Kreislauf des Geldes im Blick behalten. „Einen Teil des abgezogenen Geldes schüttet Private Equity an seine Investoren aus. Und das sind zu großen Teilen Pensionskassen, die die Renten von Arbeitern sicherstellen“, sagt Tonn. Ein Recap sei nicht verwerflich, sofern er sich an Regeln, Zielvereinbarungen und der Einhaltung finanzieller Kennzahlen orientiere. „Wenn ein bestimmter Leverage betriebswirtschaftlich vertretbar ist, warum sollte man darauf verzichten?“, fragt Tonn. Ob man ein bereits mit dem 4,5-Fachen des operativen Gewinns verschuldetes Unternehmen mit dem 7,5-Fachen hebeln müsse, stehe auf einem anderen Blatt.

„Durch das Niedrigzinsumfeld entsteht die Gefahr, dass mit Schulden nicht mehr verantwortungsvoll umgegangen wird.“

Sebastian Ottmann, Deutsche Bank

Unternehmen im Besitz von Private Equity sind für Tonn aber nicht per se besonders riskant verschuldet: „Es gibt auch inhabergeführte Mittelständler, die zu viele Schulden haben.“ Gute Schulden hängen seiner Ansicht nach am Verwendungszweck, brauchen realistische Businesspläne und Disziplin. „Covenants disziplinieren und sorgen dafür, dass gute Schulden auch gute bleiben“, sagt Tonn. Dass die Covenants seit der Finanzkrise zunehmend aufweichen, findet er problematisch.

Damit sind die beiden Kerne des Schuldenproblems benannt: Wenn Gesellschafter sich über Schulden bedienen, die das Unternehmen behindern oder sogar gefährden, sind Schulden schlecht. Und ursprünglich gute Schulden können zu schlechten werden, wenn die Disziplin verloren geht. „Das Niedrigzinsumfeld verleitet zu Strukturen, die in der Krise nicht halten“, sagt Tonn. Auch Deutsch-Banker Sebastian Ottmann beobachtet, dass durch das Niedrigzinsumfeld die Hemmschwelle für Schulden gesunken ist: „Dadurch entsteht die Gefahr, dass mit Schulden nicht mehr verantwortungsvoll umgegangen wird.“ Es sind am Ende Gier und Nachlässigkeit, die schlechte Schulden produzieren. Nur bei diesen ist die negative Konnotation von Schulden in der deutschen Sprache tatsächlich angebracht.

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